Julia Drevermann, Mainzer Rhein Zeitung/ 09.11.04

Ausdruck stärker als Worte

“Die blinde Eule” ist der Höhepunkt der Kunstaktion “Türme Babylons” MAINZ. In “fremden Zungen” sprechen die drei Schauspieler, die sich auf der Bühne langsam aufeinander zu bewegen, rhythmisch klingen ihre fremden Sätze. Und obwohl die Hälfte des Publikums das Persische dort auf der Bühne nicht versteht, ist es totenstill im Saal. Gebannt lauschen die Zuschauer dem Klang und verinnerlichen das Bild, was vor ihnen entsteht, wenn die drei persischen Schauspieler sich schließlich zu einer Figur zusammenfinden, die kurze Zeit später von einer aufflackernden Videoprojektion aufgelöst wird. Deutsche Stimmen geben der Handlung jetzt einen neuen Ton und vervollständigen die Erzählung – in einem Aufeinanderprall von Kulturen und Sprache. Genau dies hatte sich die Kunstaktion “Türme Babylons” zum Thema gemacht, zu deren Abschluss nun eine persisch-deutsche Theaterproduktion Sadegh Hedayats Hauptwerk “Die blinde Eule” in den Kammerspielen aufführt.
Und es zeigt sich, dass eine Sprache aus mehr als dem Verständnis der einzelnen Worte besteht. Schon das Kunstereignis des letzten Sommers machte deutlich, dass Sprachverschiedenheit nicht “Unverständnis” heißen muss: Künstler aus mehr als 22 Nationen nutzten das Aufeinandertreffen der sprachlich anders geprägten Kulturen zu einem fruchtbaren Dialog.
Dies mag auch die Regisseure Niloofar Beyzaie und Tom Pfeifer zu ihrem Theaterprojekt inspiriert haben. In einer Art “Tandem-Aufführung” nähern sich eine persische und deutsche Theatertruppe dem berühmten Stück des “iranischen Kafkas”. Dabei ist es der Eindruck, dass aus den verschiedenen Darstellungsweisen mehr als der Sprachunterschied spricht, der die Erzählung über einen desillusionierten Maler in einem realitätsentrücktem Gebiet zwischen Leben und Tod zu einer fesselnden Aufführung macht.
Nicht oft gelingt es, ein Publikum zu packen, das nichts versteht. Aber gerade dies vermag die”persische Inszenierung” des Stücks, weil der Gesichtausdruck des Mannes, der Schreibetuis bemalt, stärker spricht als seine Worte.
Der deutsche Ansatz zeigt eine andere Beleuchtung des Stoffes, jäh verstummen die persischen Schauspieler, links und rechts am Bühnenrand erscheinen zwei Silhouetten, und wenn die beiden deutschen Stimmen den zuvor dargestellten Erzählstoff vorlesen, lebt das Stück vorerst mehr über das Visuelle, bei der die Leinwand Schlüsselbegriffe des Stückes fluktuieren lässt.
Das Bildliche wird aber gerade von der persischen Theatertruppe auch genutzt. Farbig und symbolgeladen ist ihr Agieren. Und das Zusammenzucken der Zuschauer beim schauderlichen Lachen des merkwürdigen Alten zeigt, wie sehr gerade die persische Darstellung Spannung aufzubauen vermag.
Jedoch fällt das Trennen der verschiedenen Inszenierungsweisen im Laufe des Stückes immer schwerer, zunehmend agieren die persischen Schauspieler zu der Stimme der deutschen, und wenn im Laufe der Handlung die Schauspieler, die deutsche und persische Sprache und die Videoleinwand zusammenwirken, hat man den Eindruck, dass etwas fehlt, wenn dieses komplette Zusammenspiel wieder unterbrochen wird. So mag dieses Zusammenspiel abschließend als Höhepunkt der “Türme Babylons” gelten. Dazu passt ein Satz, der in Hedayats Stück fällt: “Ich mag es, mich mit jemand zu unterhalten, den ich liebe.” Und zwar ganz gleich, in welcher Sprache.