Jamal Tuschick (FR-Online) 25.01.2007

Beinah mutig

Ein Stück über Migration in Frankfurts Internationalem Theater

Entwurzelung bleibt das rentabelste Sujet der Migrantenkunst auch noch im 21. Jahrhundert. Seit den Tagen der Gastarbeiterliteratur, als einem Spezialfall der Sozialarbeit, steuern Fremdheitsgefühle das Genre, das im Weiteren vor allem als Meldestelle für Verluste in Anspruch genommen wird.

Die Stimme der Stille ist so ein Differenzmanifest. Das collagenfِormige Stück wurde nun im Frankfurter Internationalen Theater in der Regie von Niloofar Beyzaie zur Aufführung gebracht. In der Eingangsszene sah man vier Stühle, auf denen bald vier Schauspielerinnen Platz nahmen. “Alle haben ihre ursprüngliche Heimat (Türkei, Iran, Spanien und Irak) verlassen und leben seit vielen Jahren in Deutschland im Exil oder in der Emigration”, heisst es in einem Ankündigungstext. Das klingt dramatisch und setzt das Ensemble dem Verdacht aus, planvoll zu übertreiben. Einen spanischen Lebenslauf nach Francos Tod mit Exil und Emigration in Verbindung zu bringen, ist verwegen.

Auch Sükriye Dönmez kam mit ihren türkischen Eltern “als Baby” nach Berlin. Auf der Bühne sagte sie: “Ich schaffe es nicht, in Nationalitäten zu denken.” Sie fragte: “Was hِört sich besser an: Wir sind Papst oder wir sind Nobelpreisträger?” Da äusserte sich Stolz. Er gründet in der Fähigkeit, sich in zwei Sprachen klar artikulieren und ihre kulturelle Umgebung kapieren zu kِönnen.

Insofern handelt Die Stimme der Stille von Überschüssen und Vorsprüngen. Die inszenierte Deutschlandkritik geht über Bewährtes nicht hinaus. Die als Vierjährige aus Spanien “emigrierte” Maria Piniella meinte: “Ihr wollt analysieren, aber nicht kennen lernen.” Vielleicht wähnte sie sich in ihrer Rolle als Sprachrohr tatsächlicher Fremdheit, von der Inaam Wali ein arabisches Lied sang. Mit dieser vor Saddam Husseins Schergen geflohenen Irakerin und der vor 20 Jahren Khomeini entwichenen Iranerin Parvaneh Hamidi kam Tragik in ein Spiel, das aber auch von Mِöglichkeiten der ironischen Verschleierung belebt wurde. In 15 Szenen, die eben so vielen Thesen entsprachen, teilten sich die Protagonistinnen dem enthusiastischen Publikum mit. Am Eindrucksvollsten geschah dies bei einer rundschlagartigen Zurückweisung religiِöser Zuschreibungen. Das wäre andernorts mutig gewesen. Der theatralische Vorgang lies einen das ganze Gewicht der im Grundgesetz verankerten Meinungsfreiheit spüren.